C. Wolff: Sparta und die peloponnesische Staatenwelt

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Titel
Sparta und die peloponnesische Staatenwelt in archaischer und klassischer Zeit.


Autor(en)
Wolff, Christina
Reihe
Quellen und Forschungen zur antiken Welt 66
Erschienen
München 2010: Herbert Utz Verlag
Anzahl Seiten
IV, 270 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Link, Historisches Institut, Universität Paderborn

Mit ihrer Dissertation will Christina Wolff ein umfassendes Bild der zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Städten und Staatenbünden auf der Peloponnes vom 6. bis ins frühe 3. Jahrhundert v.Chr. zeichnen, also bis zur Herrschaft des Achaiischen Bundes. Ihr besonderes Interesse liegt dabei darauf, die sparta-zentrierte Perspektive, die sowohl unsere Quellen als auch den modernen Forschungsstand zum Thema prägt, zu überwinden und stattdessen „Darstellung und Analyse der zwischenstaatlichen Beziehungen […] aus der Perspektive der Mittel- und Kleinstaaten“ vorzunehmen (S. 2). Zu diesem Zweck stellt sie (im Anschluss an eine Einleitung und ein Kapitel zu methodologischen Vorüberlegungen) zunächst einmal die Entwicklung der außenpolitischen Beziehungen der arkadischen Staaten (insbesondere Tegea und Mantineia), der westlichen Peloponnes (insbesondere Elis), der Korinthiaka und der Argolis (und zwar insbesondere Korinth und Argos selbst) sowie Achaias dar (S. 14–189). Auf der Grundlage dieses Materials fragt sie im Anschluss daran unter systematischen Gesichtspunkten nach Modellen, denen die Interaktion zwischen den peloponnesischen Mittelmächten untereinander sowie zwischen diesen Mittelmächten und den Kleinstaaten in ihrem Umfeld unterlag (S. 190–218). In einem letzten Kapitel (S. 219–239) behandelt sie aus demselben Blickwinkel die außenpolitischen Beziehungen zwischen den Mittelmächten und den Kleinstaaten auf der einen und der Großmacht Sparta auf der anderen Seite. Eine Schlussbetrachtung und ein Literaturverzeichnis sowie eine (gemessen am Gegenstand der Arbeit zu grobe und daher wenig hilfreiche) Karte beschließen das Buch; ein Register fehlt.

Mit diesem Unterfangen begibt sich Wolff auf ein Feld, für das – wie sie bereits in der Einleitung ausführlich bedauert (S. 4) – nur sehr wenig Quellenmaterial zur Verfügung steht. Dass sich dieses Material als sehr disparat darstellt, kommt ebenso hinzu wie die Tatsache, dass der Blick unserer antiken Gewährsmänner mit großer Selbstverständlichkeit auf Sparta, nicht auf die Mittel- und Kleinstaaten der Peloponnes gerichtet war. Und auch der Sachverhalt, dass ein großer Teil der Quellen nicht zeitgenössisch ist, erschwert die Arbeit. Vor diesem Hintergrund ist zunächst einmal zu loben, dass Wolff sich der Mühe unterzogen hat, all die verstreuten Nachrichten zusammenzutragen und aufzubereiten, aus denen sich ihr Thema rekonstruieren lässt. Dass das Ergebnis einer solchen Sammeltätigkeit an sich noch keine mitreißende Lektüre darstellt, versteht sich von selbst. Als hilfreich erweisen sich indessen die zahlreichen kurzen Zusammenfassungen, die sie an die einzelnen Kapitel anhängt. Dessen ungeachtet bleibt alles in allem dennoch festzustellen, dass sich der Hauptteil des Buches wohl weniger einer durchgehenden Lektüre erschließt; geeigneter scheint er für ein gezieltes Nachschlagen.

Auch dabei ist allerdings Vorsicht geboten, denn Qualität, Tiefe und Zuverlässigkeit in der Quellenarbeit weisen Schwankungen auf. Die Überzeugungskraft der historischen Ableitungen bleibt dementsprechend wechselvoll. Diese Wechsel unterliegen keinem System und sind daher nur anhand von Beispielen aufzuzeigen: Mantineias Verhalten in den Perserkriegen etwa, insbesondere sein Fehlen bei Plataiai, erklärt Wolff (nicht gegen die moderne Forschung, sondern im Anschluss an Roy und Lewis; vgl. S. 54f. mit Anm. 260) vorsichtig abwägend und völlig überzeugend als einen Akt klugen politischen Taktierens, nicht als eine antispartanische Einzelaktion, wie andere gemutmaßt hatten (vgl. etwa auch die gelungene Darstellung S. 34). Spartas Translation der Gebeine des Orest dagegen (um nur ein beliebig herausgegriffenes Beispiel zu nennen) missdeutet sie krass als einen Versuch, den Tegeaten die spartanische Vorherrschaft zu versüßen, „dem unterlegenen Tegea die Akzeptanz der eigenen hegemonialen Position zu erleichtern“ (S. 23). Diese Translation setzte, wie Herodot ausführlich schildert, den Diebstahl der Gebeine voraus und war daher von vornherein nicht dazu geeignet oder gar darauf gerichtet, tegeatisches Einverständnis womit auch immer zu evozieren. Dass die Tegeaten – nach Wolff trotz (!) dieses Diebstahls – in ihrer „latent antispartanischen Grundhaltung“ verharrten, ist daher auch ganz sicher nicht als ein „Scheitern des spartanischen Versuches“ zu deuten, „mit Hilfe der Translation“ eine „tiefer gehende Integration Tegeas zu erreichen“ (S. 27). Hier wie anderswo (vgl. etwa S. 37) wünschte man sich eine tiefere Quellenkenntnis, eine einfühlsamere Quellenkritik und ein größeres Maß an methodischer Sicherheit. Chileos etwa, ein von Herodot, der sich hier in athenfreundlicher Propaganda verstrickt hatte, offenbar allein aus literarischer Notwendigkeit erfundener Ratgeber aus Tegea (Hdt. 9,7–10), mutiert bei Wolff zu einem „tegeatischen Repräsentanten“ (S. 30), dem es letztlich zu verdanken war, dass die Spartaner überhaupt zur Schlacht von Plataiai aufbrachen (S. 28). Solche Beispiele für „ungeschehene Geschichte“ ließen sich vermehren – auch die Tatsache, dass Kautelen wie „vielleicht“, „möglicherweise“ und „denkbar ist“ den Diskurs bestimmen, vermag solche Fehler nicht zu kaschieren.

Nach der Gesamtkonzeption dieser Arbeit bleibt ebenfalls kritisch zu fragen. Die besonderen Schwierigkeiten zeigen sich bereits in der Einleitung bei der räumlichen und zeitlichen Eingrenzung des Themas, wo beinahe alle Argumente, die den Zuschnitt der Studie begründen, von der Rolle Spartas her gedacht sind (S. 2–4). Vor diesem Hintergrund erscheint der Versuch, eine Darstellung „aus der Perspektive der Mittel- und Kleinstaaten“ zu unternehmen, von vornherein sehr schwierig – und die Lektüre der Arbeit bestätigt diesen Eindruck. Zwischenstaatliche Politik auf der Peloponnes war offenbar ohne einen Blick auf Sparta (bzw. auf den Dualismus zwischen Athen und Sparta) kaum möglich und ist daher ohne diesen Blick auch nicht zu erklären1; sogar Hochphasen von Eigenständigkeit der Mittelmächte begründet Wolff selbst eben so: Der „Aufbau dieser polisübergreifenden Strukturen erfolgte […] infolge der Perserkriege und durch die außenpolitische Schwächephase Spartas“ (S. 217) – um nur ein einziges Beispiel hierfür zu zitieren. Dieser konzeptionellen Schwäche scheint eine immer wieder zutage tretende inhaltliche Leere zu korrespondieren; der unglückliche Zuschnitt des Themas erzwingt Mal um Mal sachliche Indifferenz (vgl. etwa S. 14), Belanglosigkeit (vgl. etwa S. 20) oder Ergebnisverzicht: „Zwischen den verschiedenen Mittelmächten gab es kaum gemeinsame politische Vorstellungen […] Daher fällt die Suche nach Interaktionsmodellen […] negativ aus“ (S. 202).2

Eher vordergründige Aspekte treten hinzu: Dass die Anmerkungen, in die immer wieder ein großer Teil der Argumentation ausgelagert wird, in so kleiner Drucktype gesetzt wurden, dass sie kaum mehr lesbar sind, erschwert die Lektüre ebenso wie die Tatsache, dass Querverweise hier grundsätzlich ohne Angabe der Seitenzahl erfolgen. Fehler in Orthographie und Zeichensetzung sowie immer neue Tempusfehler und andere sprachliche Missgriffe machen die Lektüre zu einem bisweilen quälenden Erlebnis.3 Gelegentlich verstellen Schwächen dieser Art den logischen Zugriff auf den gemeinten Sachverhalt auch ganz und gar (wie etwa auf S. 236). Auch vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, das Werk nicht in erster Linie zur fortlaufenden Lektüre zu verwenden. Seinen Wert entfaltet es eher beim Nachschlagen und als Ausgangspunkt für eine anschließende, eigene Recherche.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu etwa den geglückten Erklärungsstrang für Mantineias spartafreundliche Haltung auf S. 61.
2 Vgl. jedoch auch S. 233: „Die Suche nach einem allgemeingültigen Interaktionsmodell, in dessen Rahmen Sparta seine Beziehungen zur übrigen peloponnesischen Staatenwelt gestaltet hätte, fällt daher negativ aus.“
3 „Hinweise dafür“ statt „darauf“; „insofern, weil“ statt „als“; „der Ausschluss auf der Liste“ statt „von der Liste“ usw., hier: S. 55–57; vgl. aber etwa auch S. 78, 111, 230, 232, Anm. 1232 („in der Antike sprach von man ‚die Lakedaimonier und ihre Bundesgenossen‘“) u.a.

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